Darlegungs- und Beweislast im SVT-Regress

Welche Anforderungen muss ein Sozialversicherungsträger erfüllen, um seinen Regressanspruch – vorprozessual und prozessual – darzulegen und zu beweisen? Unter welchen Voraussetzungen darf der Haftpflichtversicherer die Regulierung verweigern?

Von Dr. Lukas Stelten, Rechtsanwalt, Köln

Trägt ein Sozialversicherungsträger (SVT) im Haftpflichtfall die Heilbehandlungskosten des Geschädigten, kann er Kostenerstattung vom Haftpflichtversicherer des Schädigers aus übergegangenem Recht verlangen („SVT-Regress”, § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dieser Artikel zeigt auf, welche Anforderungen der SVT zu erfüllen hat, um seinen Regressanspruch – vorprozessual und prozessual – darzulegen und zu beweisen. Er benennt auch, unter welchen Voraussetzungen der Haftpflichtversicherer die Regulierung verweigern darf.

Im Haftpflichtfall steht dem SVT kein eigener Kostenerstattungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers zu. Der SVT kann gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X lediglich den auf ihn übergegangenen Schadensersatzanspruch des Geschädigten geltend machen. Eine Privilegierung des SVT im Vergleich zum Geschädigten findet nicht statt.

Der Geschädigte ist nicht dazu verpflichtet, Abrechnungen des Leistungserbringers auszugleichen. Daher hat er in Höhe einer etwaigen Falschabrechnung auch keinen Schadensersatzanspruch, der auf den SVT übergehen könnte. Auch ist der Haftpflichtversicherer – anders als der SVT – nur dazu verpflichtet, unfallkausale Heilbehandlungskosten zu erstatten. Eine Kostenerstattungspflicht des Haftpflichtversicherers nach dem Veranlassungsprinzip („wurde bezahlt, muss daher auch erstattet werden”) sieht das Gesetz nicht vor.

Unfallkausalität und medizinische Notwendigkeit

Der SVT hat die haftungsbegründenden Anspruchsvoraussetzungen im Wege des Strengbeweises gemäß § 286 ZPO zu beweisen. Die Beweislast erstreckt sich auf das Bestehen einer Verletzung sowie die Unfallkausalität dieser Verletzung. Der SVT muss jede in ihrer Unfallkausalität streitige Einzelaufwendung belegen, ebenso wie es auch der Geschädigte selbst hätte tun müssen. Dies erfordert die Vorlage des Grouper-Ausdrucks beziehungsweise der Rechnungskopien. Die Überlassung selbstgefertigter Forderungsaufstellungen seitens des SVT genügt nicht.

Mit Blick auf die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlungskosten findet das erleichterte Beweismaß nach § 287 ZPO Anwendung. § 287 ZPO entbindet den SVT aber nicht von seiner Darlegungs- und Beweislast. Daher hat der SVT die Notwendigkeit der Heilbehandlungskosten für jede streitige Einzelposition zu beweisen.

Abrechnungsdaten und Aufgabe

Die von einigen SVT teilweise angeführte Behauptung, der SVT genüge seiner Darlegungs- und Beweislast durch Vorlage einer Auflistung der Schadenpositionen unter Beilage der ihm nach den §§ 284 Abs. 1 Nr. 11, 295, 300 ff. SGB V elektronisch übersandten Abrechnungsdaten des Leistungserbringers, geht fehl. Entscheidend ist nicht, ob die Abrechnungsdaten der jeweiligen Leistungserbringer nach den §§ 284 Abs. 1 Nr. 11, 295, 300 ff. SGB V elektronisch übersandt werden, sondern dass sie in vielen Fällen inhaltlich nicht ausreichen, um die geltend gemachten Schadensersatzansprüche sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu substanziieren und nachzuweisen. Dass der Datensatz gemäß § 301 SGB V für die Zwecke einer Rechnungsprüfung vielfach nicht ausreicht, ist auch dem Gesetzgeber bewusst. Deshalb darf der MDK (zukünftig: MD) beim Leistungserbringer weitere Unterlagen anfordern, wenn er vom SVT mit einer Rechnungsprüfung beauftragt wird.

Nicht haltbar ist auch das teilweise angeführte Argument, dass die Rechnungsprüfung ausweislich der §§ 275 ff. SGB V alleinige Aufgabe der SVT und des MDK (zukünftig: MD) sei. Haftpflichtversicherer benötigen insbesondere keine sozialrechtliche „Ermächtigungsgrundlage”, um gegen sie gerichtete Regressforderungen zu prüfen. §§ 275 ff. SGB V finden auf Haftpflichtversicherer keine Anwendung. Die datenschutzrechtliche Berechtigung des Haftpflichtversicherers, Gesundheitsdaten zu Zwecken der Verteidigung gegen Rechtsansprüche zu verarbeiten, ergibt sich aus Art. 9 Abs. 2 lit. f) DSGVO.

Beauftragung und Richtigkeitsvermutung

Irrelevant ist weiter auch die Feststellung, dass es den SVT nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, bei Zweifeln an der Abrechnung des Leistungserbringers den MDK (zukünftig: MD) zu beauftragen. Das ist zwar richtig, geht aber nicht zulasten des Haftpflichtversicherers, sondern zulasten des SVT. Im SVT-Regress nach § 116 Abs. 1 SGB X gilt der Primat des Haftungsrechts, nicht der Primat des Sozialdatenschutzrechts. Letzteres bindet allein den SVT, nicht aber den Haftpflichtversicherer.

Unerheblich ist ebenfalls, ob der Gesetzgeber in §§ 275 ff. SGB V davon ausgeht, dass Krankenhausabrechnungen im Regelfall richtig sind. Selbst wenn man dies mit einigen Stimmen aufseiten der SVT unterstellt, gilt diese Vermutung jedenfalls nicht zulasten des Haftpflichtversicherers. Dieser ist gem. Art. 9 Abs. 2 lit. f) DSGVO berechtigt, Gesundheitsdaten zur Verteidigung gegen Rechtsansprüche in jedem Einzelfall zu verarbeiten und somit auch in jedem Einzelfall eine Rechnungsprüfung vorzunehmen. Eine „haftungsrechtliche Richtigkeitsvermutung“ existiert nicht.

Fazit: Darlegungs- und Beweislast bleiben bestehen

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die sozialdatenschutzrechtlichen Bestimmungen des SGB V und die mit ihnen einhergehenden Beschränkungen der Datenverarbeitung und der Rechnungsprüfung durch den SVT nicht dazu führen, dass die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast für den SVT im Regress geringer wären als für den Geschädigten selbst. Es gibt im SVT-Regress keine „sozialdatenschutzrechtliche Überlagerung” des Haftungsrechts. Vielmehr hat der SVT seinen Regressanspruch nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen darzulegen und zu beweisen. Diese Grundsätze gelten vorprozessual entsprechend. Sollte dem SVT dies aufgrund etwaiger sozialdatenschutzrechtlicher Beschränkungen im Einzelfall nicht möglich sein, geht dies zulasten des SVT und nicht zulasten des Haftpflichtversicherers. 

Dr. Lukas Stelten ist Rechtsanwalt und Counsel bei CMS Hasche Sigle, einer der größten deutschen Wirtschaftskanzleien. Er berät deutsche und internationale Unternehmen zu sämtlichen datenschutzrechtlichen Fragestellungen, einschließlich internationaler Datentransfers (BCR, Model Clauses etc.), der Verwendung von Beschäftigten- und Sozialdaten sowie der Nutzung von Kundendaten. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Vertretung von Mandanten gegenüber Aufsichtsbehörden sowie auf der Führung von Gerichtsverfahren mit datenschutzrechtlichem Bezug.

Quelle: AM PULS – Das ACTINEO Magazin (Ausgabe 09 | November 2020)

Bild: CMS Hasche Sigle Bild

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